Dienstag, 10. Juni 2008

Was hinter einem vorgeht

"Was darf Satire?" fragte Ignaz Wrobel aba Kurt Tucholsky Ende Januar 1919 im 'Berliner Tageblatt' und stellte seiner zeitlosen Antwort einen Dialog von Gerhart Hauptmann voran. »Frau Vockerat: "Aber man muß doch seine Freude haben können an der Kunst." Johannes: "Man kann viel mehr haben an der Kunst als seine Freude."«

Ich meine: Satire ist gut und Satire ist wichtig und Satire ist unangreifbar. Sie kann man schon einmal den SPD-Vorsitzenen als Problembär bezeichnen, der zum Abschuss freigegeben ist, oder das sogenannte 'Inzest Monster von Amstetten' als österreichisches Fussball-EM-Maskotchen vorschlagen. Sie kann deutschen Fußballspielern bildlich mit dem Schwert die Köpfe abschlagen und manche Menschen haben dabei satirisch viel Spaß. Aber wehe es kommt der Pole unseren Kickern mir dem Schwerte zu nah'. Dann ist aber Polen offen, sage ich Ihnen.

Satire ist also zuallererst eine Nationalsache. Und zweitens ist auch noch die Frage zu klären, ob die Macher der Satire es nicht vielleicht doch ernst gemeint haben. "Der Abgeordnete Joschka Fischer nimmt nun unter Bedauern seinen Ausdruck 'Sie Arschloch' zurück, den er dem Herrn Landtagspräsidenten gestern auf den Kopf zugesagt hatte." "Herr Landtagspräsident, ich bedaure, dass ich den Ausspruch 'Sie Arschloch' zurücknehmen muss." - War es nun so gewesen oder nicht? Oft sind für den geneigten Verfolger des Geschehens Realität, Satire und Realsatire nicht mehr auseinander zu halten und das kommt so:

Wenn ein Mann wie Klaus Zumwinkel in der Öffentlichkeit ans Kreuz geschlagen wird, weil er eine Million Euro seines Vermögens am Fiskus vorbei nach Liechenstein verschoben hat, dann hat das seinen Grund. Wochenlang war er die Verkörperung des Bösen in unserer Gesellschaft. Kein Mensch redete da mehr über die drei, vier fünf Spar- und Landeskassenbanken, die gerade ettliche Milliarden fremden Vermögens, nämlich überwiegend das Vermögen der Kleinsparer, durch Immobilienspekulationen verzockt, verloren, vernichtet hatten. Waren es zusammen zehn-, elf- oder sogar zwölftausen Millionen Euro gewesen? Alles kein Problem, denn man hatte ja Zumwinkel und seine Million; Peanuts, ach was sage ich: eine Peanut im Vergleich zu dem Sack voller fremder Erdnüsse, den die anderen auf nimmer Wiedersehen ausgegeben hatten. Von da her kommt ja auch der Ausdruck 'einen ausgeben'. Übrigens ist Zumwinkels Million immer noch da. Dafür wurde der Mann verhaftet, ins Gefängnis gesteckt und er wird dafür selbstverständlich auch hart bestraft werden.

Sehen Sie, das ist Satire, Realsatire auf dem Höhepunkt dessen, was Satire kann und darf. Sie verwirrt uns, blendet unsere Ohren, erpresst unsere Augen. Der Blick auf die Realität geht dabei planmäßig verloren; die Aufregung um die Frage 'Dürfen die das?' beschäftigt die Menschen umso mehr. Und deshalb müssen wir nun nicht immer gleich aufbegehren, wenn einer wirklich einmal einen guten Witz über uns reißt; das stellte schon Tucholsky fest. "Der deutsche Satiriker" so schreibt er "tanzt zwischen Berufsständen, Klassen, Konfessionen und Lokaleinrichtungen einen ständigen Eiertanz. Das ist gewiß recht graziös, aber auf Dauer etwas ermüdend. Die echte Satire ist blutreinigend: und wer gesundes Blut hat, der hat auch einen reinen Teint."

Was darf die Satire? - Nach wie vor: Alles. Genau deshalb gilt beim Lesen der Boulevardpresse: "Augen auf beim Schlagzeilen-Abkauf!" - Manchmal steht etwas ganz anderes dahinter. Nämlich das, was hinter einem vor sich geht.

(aus: "Was hinter einem vorgeht - Ein neues Programm -"/2008)

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